Viele Unternehmen verbinden mit dem Begriff Kreativagentur sofort bunte Moodboards, wilde Ideen, hippe Präsentationen mit Buzzwords wie Disruption, Storytelling oder Brand Activism. Und klar: das kann alles dazugehören.
Aber eine gute Kreativagentur erkennt man nicht an der Extravaganz ihrer Ideen, sondern an der Fähigkeit, kreative Lösungen für ein präzise definiertes Problem zu finden. Was auch immer dieses Problem sein mag.
Denn: Kreativität ist kein Stilmittel. Kreativität ist eine Haltung. Kreativität ist Durchhaltevermögen. Kreativität ist Erfahrung. Kreativität ist Zeit und Aufmerksamkeit.
Und gerade Zeit und Aufmerksamkeit sind wertvolle Ressourcen, die eine gute Kreativagentur zu schätzen weiss.
Hier kommt das sogenannte «Canada Principle» von Marc Randolph ins Spiel (Krogerus & Tschäppeler, S. 76).
Marc Randolph war einer der Gründer von Netflix. Die «älteren Generationen» unter uns wissen, dass Netflix vor seiner Zeit als Streaminganbieter einer der grössten DVD-Verleiher in den USA war. Es war naheliegend, nach Kanada zu expandieren, da die Kultur der Zielgruppe ähnlich schien. Im Fachjargon nennt man das eine «Low Hanging Fruit» – bildlich gesprochen ist das die tiefhängendeFrucht, nach welcher man sich kaum strecken muss. Dennoch entschied sich Netflix gegen eine Expansion nach Kanada.
Wieso? Bei genauerem Hinschauen wurde klar, dass Kanada u. a. einen französischsprachigen Landesteil und eine andere Währung hat. Auch weitere Aufwände wären mit der Expansion gekommen. Kurzfristig hätte Netflix möglicherweise Geld verdient, aber langfristig hätten sich Komplikationen ergeben.
Was nach einer tiefhängenden Frucht aussieht, ist i. d. R. keine tiefhängende Frucht. Das ist das «Canada Principle» nach Marc Randolph: «We called this The Canada Principle and it served as a constant reminder to us to make sure we didn’t run around chasing what appeared to be low hanging fruit, all the while taking our eyes off what was truly important in scaling our business.»
Was das mit Kreativarbeit zu tun hat? Nun, in der Kreativarbeit begegnet man diesem Muster täglich:
- Eine Content-Kampagne, «diewir einfach mal ausprobieren»
- Eine Microsite «fürdiese eine Idee»
- Eine Trend-Plattform «aufder wir jetzt auch präsent sein sollten»
All diese Entscheidungen kosten:
- Zeit, die anderswo fehlt
- Aufmerksamkeit, die sich zersplittert
- Kreative Energie, die sich verzettelt
Und oft lösen sie kein einziges echtes Problem.
Eine gute Kreativagentur zeigt Durchhaltvermögen beim Verstehen des Problems. Sie nutzt ihre bisherige Erfahrung. Eine gute Kreativagentur schätzt Zeit und Aufmerksamkeit:
Nicht jede Idee verdient eine Umsetzung.
Nur weil sie machbar ist, heisst das nicht, dass sie sinnvoll ist.
Was einfach aussieht, ist oft trügerisch.
Die «schnelle Kampagne» zieht Ressourcen aus anderen, strategisch wichtigen Projekten.
Kreativität heisst: entscheiden.
Nicht möglichst viel denken. Sondern: das Richtige finden und anderes bewusst nicht tun.
Deine Zielgruppe merkt den Unterschied.
Zwischen einer lauten Idee und einer, die sie wirklich berührt, weil sie mit Tiefe, Kontext und Relevanz entwickelt wurde.
Wenn du eine Kreativagentur suchst, frag dich nicht: Wie fancy sind deren Entwürfe?
Frag lieber: Wie tief verstehen sie mein Problem? Wie ernst nehmen sie mein Ziel? Zielen ihre Ideen auf die tiefhängende Frucht ab?
Wir glauben, dass eine gute Kreativagentur nicht einfach die tiefhängende Frucht pflückt. Sie gestaltet eine Strategie, wie sie alle Früchte der Baumkrone holt.
Quelle:
Faustregeln(2024). Krogerus, Mikael & Tschäppeler, Roman. Kein und Aber AG. Zürich